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Interview mit Prof. Dr. med. Peter Mallmann
Prof. Dr. med. Peter Mallmann, Direktor der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Köln im Interview
Interview mit Prof. Dr. med. Peter Mallmann
Prof. Dr. med. Peter Mallmann, Direktor der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Köln im Interview:
1. Warum ist Ihnen das Thema "Kein Alkohol in der Schwangerschaft" so wichtig?
Das Thema "Alkohol in der Schwangerschaft" ist ein in der täglichen Praxis relevantes Problem. Es sind weniger die 2.000 Kinder, die jedes Jahr mit einem sogenannten fetalen Alkoholsyndrom geboren werden.
Das ist sicher schrecklich. Noch schlimmer sind allerdings die zahllosen Kinder, die nicht mit dem Vollbild der Alkoholembryopathie geboren werden, es sind die unzähligen Kinder, die eine lebenslange Hypothek mit sich herumtragen, da ihre Mutter immer wieder Alkohol in der Schwangerschaft konsumiert hat. Diese Kinder leiden unerkannt unter den Folgen des mütterlichen Alkoholkonsums. Sie haben schulische Probleme, sind verhaltensauffällig, aber keiner weiß, warum.
2. Was kann Alkoholkonsum in der Schwangerschaft auslösen?
Alkohol geht über die Plazenta direkt auf das ungeborene Kind über, d.h., das Kind hat den gleichen Alkoholspiegel wie die Mutter. Im schlimmsten Fall führt dies zu dem sogenannten Alkoholsyndrom. Diese Kinder sind kleiner, haben einen kleinen Kopf, haben ein typisches Gesicht mit flacher Stirn, zurückweichendem Unterkiefer und einer Stupsnase und häufig eine geistige Behinderung.
3. Was passiert im Körper, wenn eine Schwangere Alkohol trinkt? Trinkt das Baby automatisch mit?
Alkohol geht über den Mutterkuchen direkt auf das ungeborene Kind über und ist dort in
gleicher Höhe wie bei der Mutter nachweisbar. Das Problem ist aber, dass die kindliche Leber noch nicht in der Lage ist, Alkohol selbst abzubauen. Dies bedeutet, dass jeder Tropfen Alkohol, den die Mutter trinkt, ungehindert auf das Kind übergeht und dort irreversible Hirnschäden auslöst.
4. Gibt es unterschiedliche Parameter, wie viel Alkohol in welchem Stadium der Schwangerschaft schädlich ist?
Nein, wir haben keine Parameter.
5. Was gibt es noch zu tun im Bereich der Aufklärung? Weiß nicht mittlerweile jeder, dass Alkohol in der Schwangerschaft schädlich ist? Natürlich sollte jeder wissen, dass Alkohol in der Schwangerschaft schädlich ist. Was aber nicht bekannt ist: Es gibt keine Schwellendosis, unter der Alkoholkonsum
unschädlich ist. Über die Hälfte aller Frauen geben zu, dass sie gelegentlich Alkohol in der Schwangerschaft trinken. Alkoholkonsum wird selbst in der Schwangerschaft gesellschaftlich toleriert: "Ein Gläschen Wein kann doch nicht schaden" oder "Ist doch gut für den Kreislauf". Vielen sind die Auswirkungen auch von mäßigem Alkoholkonsum in der Schwangerschaft nicht bekannt. Selbst in einem Elternratgeber steht: "Ein Glas Sekt in Ehren kann Stress abbauen und mütterlicher Stress ist für das Baby überhaupt nicht gut."
6. Was kann eine Aufklärungsinitiative wie „Mein Kind will keinen Alkohol“ zur Prävention beitragen?
Wir müssen allen klar machen, dass jeder Tropfen Alkohol potenziell schädlich ist. Wir müssen allen Müttern verdeutlichen, dass sie an einem einzigen Wochenende ihre Kinder vom Abitur in die Sonderschule saufen können. Wir müssen informieren, dass jeder Tropfen Alkohol, den die Mutter trinkt, bereits beim Kind irreversible Hirnschäden auslösen kann. Und das ist unser Problem: Die unerkannt alkoholgeschädigten Kinder, die einen normalen IQ erreichen, körperlich aber eingeschränkt, schlecht in der Schule und krankheitsanfällig sind, häufiger ein auffälliges Sozialverhalten zeigen, häufiger Unterstützung brauchen und dies müssten wir allen Müttern klar machen.
Gisela Michalowski, 1. Vorsitzende FASD Deutschland e.V.
Gisela Michalowski, Jahrgang 1962, Dipl. Sozialpädagogin, ist verheiratet und hat vier leibliche Kinder. Ihr Adoptivsohn (30) und ihre drei Pflegetöchter (21, 22 und 10) sind von FAS betroffen.
Interview mit Gisela Michalowski
Gisela Michalowski, Jahrgang 1962, Dipl. Sozialpädagogin, ist verheiratet und hat vier leibliche Kinder. Ihr Adoptivsohn (30) und ihre drei Pflegetöchter (21, 22 und 10) sind von FAS betroffen.
1. Wann und wie sind Sie erstmals auf die Thematik FAS aufmerksam geworden?
1995 im März, durch einen Artikel von Herrn Prof. Löser von der Universitätsklinik Münster in einer Zeitschrift für Pflegeeltern. Die Fotos der betroffenen Kinder erinnerten uns an unsere Mädchen.
2. Was hat sich seitdem aus Ihrer Sicht in der öffentlichen Wahrnehmung geändert?
Leider immer noch zu wenig. Die Folgen von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft sind noch nicht allen Menschen bekannt. Und die lebenslangen Auswirkungen für das Kind werden nicht anerkannt. Da man den meisten Menschen mit FAS die Behinderung nicht ansieht, werden sie häufig überschätzt und überfordert.
3. Was war Ihre Motivation, sich im FASD Deutschland e.V. zu engagieren?
Meine Kinder mit FASD, die stetig 200 Prozent Leistung bringen müssen, um nur ein Bruchteil dessen zu erreichen, was gesunde Kinder leisten.
4. Wie werten Sie die Entwicklung bei der aktiven FAS-Präventionsarbeit?
In den letzten Jahren ist einiges erreicht worden. Material zur Präventionsarbeit ist entwickelt worden, wird stetig erweitert und verbessert. Das Thema FASD wird in das öffentliche Bewusstsein gerückt, z.B. auch durch TV-Spots, wie der Ihrer Kampagne Mein Kind will keinen Alkohol oder aber den tollen Zeichentrickfilm von Wigwam Zero, „Blau im Bauch“, der häufig in Schulen eingesetzt wird.
Trotz aller Bemühungen ist es immer noch nicht in den Köpfen der Menschen eingegangen, dass Alkohol lebenslange Folgen für das Kind verursacht, wenn während der Schwangerschaft getrunken wird.
5. Was ist aus Ihrer Sicht der Schlüssel für eine effektive FAS-Prävention und was muss in Zukunft noch getan werden, um das Problem besser in den Griff zu bekommen?
Der Schlüssel liegt in der Aufklärung über die Gefahren von Alkohol in der Schwangerschaft für das ungeborene Kind. Je eher Menschen mit dem Thema vertraut gemacht werden, umso eher werden Schwangere sich der Verantwortung bewusst sein. Deshalb muss Aufklärung verstärkt in den Schulen ansetzen, als Pflichtprogramm z.B. im Rahmen des Sexualkundeunterrichts.
6. Gibt es aus Ihrer Sicht eine Art „Verantwortungs-Vakuum“ beim Thema FAS?
Ja. Alkohol ist in unserer Gesellschaft noch immer ein Tabuthema.
7. Bitte ergänzen Sie folgenden Satz: Wir werden erst alle Wissenslücken beim Thema FAS schließen, wenn…
Politiker, Ärzte, Psychiater, Hebammen, Sozialarbeiter, Lehrer, Erzieher, Richter, Staatsanwälte, kurzum die gesamte Gesellschaft bereit ist, sich mit der Thematik ernsthaft zu beschäftigen, sowohl im Bereich der Prävention als auch im Interesse der Betroffenen, die lebenslang mit den Auswirkungen dieser oft unsichtbaren Behinderung zu kämpfen haben.
8. Was hat Sie bewogen, als Pflegefamilie selbst Kinder mit FAS aufzunehmen?
Da es bei drei Kindern bei Aufnahme in unseren Haushalt nicht bekannt war, dass sie FAS haben, und es eigentlich bei diesen
nur um eine kurzfristige Wochenendunterbringung ging, (leider hatte man vergessen, zu sagen welchen Montag man meinte), war
es kein Thema. Bei den mittleren Mädchen haben wir uns bewusst für sie entschieden, als sie die Diagnose bekommen
hatten.
Wir hatten, als wir zum ersten Mal Pflegeeltern wurden, überhaupt keine Ahnung, wie FASD einmal unseren Alltag bestimmen würde, zu unserem täglichen Korsett werden würde. Trotz Studium der Sozialpädagogik war mir nicht klar, was FAS ist und wie die Auswirkungen auf meine Kinder sein würden. Unser Leben ist stetig eine Achterbahnfahrt, mal sind wir ganz oben, mal sind wir ganz unten und das häufig im Sekundentakt.
9. Gibt es eine „Goldene Regel“, die Sie Eltern oder Pflegeeltern von Kindern mit FAS gerne mitgeben würden?
Niemals aufgeben! Immer bereit sein, die Kinder wieder dort abzuholen, wo sie stehen geblieben sind.
10. Gestatten Sie uns eine letzte Frage: Acht Kinder, FAS als ständiger Begleiter im Alltag, das zeitintensive Engagement für FASD Deutschland – wie schaffen Sie das alles?
Mit einer guten Portion Humor, aber ganz wichtig ist auch die Selbstfürsorge. Wenn es mir gut geht, dann geht alles. Sorge ich nicht für mich, kann das ganze System zusammenbrechen.
Tipps für Schwangere: „Nein, danke!“ ab Tag 1
Wie Sie in Gesellschaft auf Alkohol verzichten
Wie Sie in Gesellschaft auf Alkohol verzichten
Ein Baby verändert alles – von „A“ wie „Atemtechnik“ bis „Z“ wie Zahnpflege. Das betrifft auch die Ernährungs- und Trinkgewohnheiten. Die gesellschaftliche Akzeptanz eines kleinen Drinks ist jedoch auch mit Babybauch erstaunlich hoch – und das, obwohl bereits geringe Mengen nachweislich schwerwiegende Folgen haben können. Experten und Mediziner sind sich einig: Es gibt keinen risikofreien Alkoholgrenzwert in der Schwangerschaft. Daher lautet die einheitliche Empfehlung: Null Promille in neun Monaten.
Lass Deinem Baby zuliebe alle alkoholischen Getränke weg,
wenn Du schwanger bist oder eine Schwangerschaft planst.
Aber was tun, wenn Angebote und Verlockungen groß und das Verständnis von Freunden, Kollegen oder gar der Familie vergleichsweise klein ist? Oder wenn man das Babyglück noch nicht öffentlich (mit)teilen kann?
Dein Baby kann sich nicht wehren, aber Du! Wir haben einfache Tipps für werdende Mütter und Väter zusammengestellt:
Bleib beim freundlichen „Nein, danke!“, wenn man Dich auf ein „Gläschen in Ehren“ einlädt oder Dich zum Anstoßen mit alkoholischen Getränken animieren möchte.
Wähle alkoholfreie Alternativen, wenn in geselligen Runden ein Toast ausgesprochen wird. Leckere Rezeptideen für erfrischende Cocktails findest Du hier.
Lass Dich nicht auf Diskussionen um Grenzwerte, pseudo-kulturelle Gepflogenheiten oder inzwischen widerlegte Mythen ein. Deine Umgebung hat Deinen Wunsch zu respektieren. Schließlich geht es um die Gesundheit Deines Kindes.
Sprich mit Deinem Partner und bitte ihn, in Deiner Gegenwart ebenfalls auf Alkohol zu verzichten, wenn Dir der Verzicht schwer fallen sollte. Geteilte Verantwortung schweißt zusammen.
Bleib standhaft, auch wenn andere nicht locker lassen und auf ein gemeinsames Gläschen drängen. „Eins ist keins“ gilt nicht während der Schwangerschaft. Wer das nicht verstehen kann, sollte bei Veranstaltungen vielleicht besser gemieden werden.
Such das Gespräch, wenn Du bemerkst, dass andere Andere trotz ihrer Schwangerschaft trinken. Es geht nicht darum, den Moralapostel zu spielen, sondern aufzuzeigen, wie (lebens)wichtig der strikte Verzicht auf Alkohol für die Gesundheit des Babys ist.
Halt Dir immer vor Augen, dass keine feuchtfröhliche Runde so schön sein kann, wie ein gesundes, lächelndes Baby in Deinen Armen.
FAS in der Presse
Studie vom „Deutschen Ärzteblatt“
Ärzteblatt, 01/2017
Die Risiken von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft sind weltweit noch nicht fest in den Köpfen verankert. So werden immer wieder Babys mit dem fetalen Alkoholsyndrom (FAS) geboren. Das Ärzteblatt (Quelle 01/2017) klärt über das FAS-Syndrom auf. Quelle: Ärzteblatt, 01/2017
Ein Glas Alkohol während der Schwangerschaft ist schon zu viel!
Focus, 09/2015
Es ist schnell passiert: Ein paar kleine Schlucke aus dem Bierglas genommen oder kurz am Sekt genippt. Für den Körper der Schwangeren keine große Herausforderung, für das ungeborene Kind jedoch ein ernstes Problem mit teilweise schwerwiegenden Folgen. Jährlich kommen tausende alkoholgeschädigte Kinder mit Behinderungen und Erkrankungen zur Welt. In diesem Beitrag beantwortet Focus.de wichtige Fragen zum Thema FAS. Quelle: Focus, 09/2015
Die Frage nach dem Andersein
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08/2015
Viele FAS-Betroffene fragen sich, warum sie anders sind. Häufig stehen sie den Herausforderungen des Alltags ohnmächtig gegenüber und scheitern an scheinbar einfachen Aufgaben. Beispiel: Nur weil Menschen mit FAS gelernt haben, dass sie zu Hause klingeln müssen, damit ihnen jemand öffnet, ist es für sie nicht selbstverständlich, dass dies vor fremden Haustüren ebenfalls notwendig ist. Über ein Leben, das nicht ins Schema passen will, berichtet die FAZ in diesem umfassenden Beitrag. Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08/2015
Eine von fünf Frauen trinkt Alkohol während der Schwangerschaft
Süddeutsche Zeitung, 05/2015
Studien des Robert-Koch-Institutes zeigen auf, dass ca. 80 % werdender Mütter auf Alkohol während der Schwangerschaft verzichten. Das hat zur Folge, dass wiederum ca. 20 % wissentlich und unwissentlich ihre Babys Gefahren aussetzen, weil sie Alkohol während der Schwangerschaft trinken. Wie es zu diesen Zahlen kommt und was Experten und Vertreter aus der Politik fordern, um Abhilfe zu schaffen, fasst dieser Beitrag der SZ zusammen. Quelle: Süddeutsche Zeitung, 05/2015
Alkohol in der Schwangerschaft hinterlässt Spuren. Oder: Die Gefahren des Trinkens
Süddeutsche Zeitung, 08/2014
Der 14-jährige Victor leidet am Fetalen Alkoholsyndrom (FAS). Seine leibliche Mutter hat während der Schwangerschaft getrunken und ihn in die Obhut eines Pflegeheims und anschließend an eine Pflegefamilie gegeben. Obwohl Victor seit mehr als 13 Jahren in seiner neuen Familie lebt, ist er regelmäßig vom Alltag überfordert. Und die Familie ist häufig überfordert von Victor. Über FAS und die schwerwiegenden Folgen für Betroffene und Familien berichtet die SZ in diesem Artikel von Werner Bartens. Quelle: Süddeutsche Zeitung, 08/2014
Das Baby trinkt mit
Die Zeit, 07/2014
Ein Gläschen in Ehren kann Schwangeren niemand verwehren. Häufig sind werdende Mütter mit diesem Ammenmärchen konfrontiert. Leider kommen Jahr für Jahr zu viele Kinder mit alkoholbedingten Schäden auf die Welt. Über die Ursachen und dramatischen Folgen für Betroffene berichtet die Zeit in diesem umfassenden Leitartikel. Quelle: Die Zeit, 07/2014
Die richtige Diagnose – FAS wird oft nicht erkannt
Ärzteblatt, 10/2013
Während man heute bereits Diagnosen besser stellen kann, ist es für mit FAS betroffene Erwachsene oft noch schwer, zu wissen oder auch zu erkennen, warum sie anders sind. Woran das liegt, welche Lösungsansätze es gibt und wie vielfältig sich FAS auf Betroffene auswirkt, erfahren Leser in diesem Beitrag des Ärzteblatt. Quelle: Ärzteblatt, 10/2013